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Schade, Baden-Württemberg

Ein Kommentar zur Verwaltungsreform


Autor

Prof. Peter Schilling

Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen - FH Ludwigsburg
und
aim
angewandtes informations - management



Die Reform der Landesverwaltung ist nun beschlossen und verkündet. Zuerst muß festgehalten werden, daß es allen Respekt verdient, eine solch tiefgreifende Reform anzugehen und ein ehrgeiziges Sparziel zu verkünden, an dem sich die Regierung später auch messen lassen will.

Daß die 20% Ersparnis sicherlich zu einem großen Teil nur durch weit gehende Stelleneinsparungen erreicht werden, ist ja allen Beteiligten klar. Es ist einer der Punkte, die heftige Kritik auslösen. Man kann aber, so die alte Weisheit, keine Omeletts backen, ohne Eier zu zerschlagen. Durch diese Kritik kann und muß die Landesregierung durch.

Wenn aber schon die schönen Eier zerschlagen werden müssen, sollten die Omeletts wenigstens lecker, nahrhaft und gesund sein. Der ganze finanzielle Umstellungsaufwand, Ärger, Frust und politische Streit – der viele „Schweiß der Edlen" - wäre es wert, damit eine wirklich fundamentale und zukunftsweisende Reform ins Werk zu setzen. Das vorgelegte Konzept erfüllt diese Forderung aus meiner Sicht nur sehr bedingt.

Ein geschätzer früherer Chef hat mir immer eingebleut, daß man sich nur über Dinge beklagen darf, die man zu ändern versucht hat. Dies möchte ich im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten mit meinem Kommentar versuchen:


Die Reform-Ziele

Die erklärten Ziele „Bürgernähe", „Einräumigkeit" und „drastische Einsparungen" stehen für mich im Prinzip außer Frage. Ich bin aber der Meinung, daß sie auf einem anderen Weg weit besser erreicht werden können.

Zuerst die Bürgernähe – die heutigen Kreise sind bereits so groß, daß sie dieses Kriterium nur mit Mühe und Außenstellen erfüllen können. Es wäre logischer, Kontakte des Bürgers mit der Verwaltung möglichst auf die Ebene abzuschichten, die ihm buchstäblich nahe liegt: die Kommune. Erfolgreiche Versuche, z.B. im Land in Sternenfels oder in Sachsen-Anhalt weisen den Weg. Ein konsequenter Ausbau des „Front-Office-Konzeptes" könnte die Abwicklung aller einfachen Kontakte mit der Kreisverwaltung über das Bürgerbüro der Kommune ermöglichen. Die Kreisverwaltung braucht hier keine eigenen Front-Offices! Außenstellen für diesen Bereich sind überflüssig.

Auch die Einräumigkeit und dem damit verbundenen Anspruch der Integration aller Fachverwaltungen des Landes ist vernünftig. Die Idee, Synergien zu nutzen und möglichst vieles in einer gemeinsamen Verwaltung zu bündeln ist gut. Daß dadurch mittelfristig bei konsequenter Umsetzung eine Personalreduktion zu erwarten ist, erscheint ebenfalls schlüssig.

Einige Problem beim aktuellen Ansatz

Aber: Um die anstehenden Anliegen und Fragen der Bürger und Firmen nicht nur nach Aktenlage zu administrieren, sondern inhaltlich zu lösen, braucht es einen Stamm von Fachleuten mit entsprechender Ausbildung und Berufserfahrung. Innerhalb der verschiedenen Gebiete ist meist noch eine Spezialisierung erforderlich, um die notwendige Qualifikation zu haben und bei der Weiterentwicklung der Diziplinen auch über das Berufsleben zu erhalten. Selbst wenn man es als richtig betrachtet, alle fachlichen Aufgaben nach außen zu vergeben, sollte nicht übersehen werden, daß es unerläßlich bleibt, genügend Sachverstand vorzuhalten, der den sinnvollen Bedarf definiert, die Leistungen ausschreibt und die vertragsgemäße Lieferung der Leistung überhaupt überprüfen kann! Alles andere ist ein Verstoß zumindest gegen den Geist der Haushaltsvorschriften, weil es die Erlaubnis zum Geld drucken für die Auftragnehmer bedeutet.

Um dies zu leisten und diesen Fachleuten auch die notwendige motivierende Berufsperspektive zu bieten, sind die Stadt- und Landkreise zu klein! Die deshalb ins Gespräch gebrachte Schwerpunktbildung in „Vorort-Landkreisen" mit bestimmten fachlichen Schwerpunkten ist mit Sicherheit keine Lösung, sondern Etikettenschwindel oder im günstigsten Fall unrealistischer Zweckoptimismus. Die Begriffsverwirrung, die sich schon in den Schreibweisen und der diffusen Verwendung der Bezeichnung zeigt, ist symptomatisch für die dahinter steckenden Probleme: Es sind keine bürgernahen Vor-Ort-Behörden gemeint wie der bergmännische Begriff „vor Ort" und die Schreibweise „Vor-Ort" suggeriert. Der Begriff „Vorort" meint denjenigen Verein in einem Verbund von Vereinen an mehreren Orten, der im Verbund „das Sagen hat", d.h. das ist der Ort, der den anderen die Vorgaben macht.

Auch wenn man vom ausgeprägten Machtbewußtsein der Landräte einmal absieht, ist es in der Praxis nicht denkbar, daß die Fachbehörde eines Kreises einem anderen Kreis Anweisungen gibt. D.h. vom Rechts- und Demokratieverständnis her kann ich mir nicht vorstellen, daß eine Behörde einer Körperschaft Vorgaben macht, die weder der Kontrolle und politischen Verantwortung der Körperschaft unterliegt, der die Vorgaben gemacht werden, noch ein Weisungsrecht gegenüber dieser Körperschaft hat.

Dies dürfte dazu führen, daß die Kreise autonom über alle Fachfragen entscheiden, unabhängig davon, ob diese Entscheidung zufällig vom Sachverstand einer hier angesiedelten Vorort-Fachbehörde „getrübt" ist oder nur die Meinung einer „Mini-Fachbehörde" als Feigenblatt in die Entscheidungsfindung eingeht – ein weites und fruchtbares Feld für Einwendungen vor den Verwaltungsgerichten, vom Hick-Hack zwischen den Kreisen gar nicht zu reden. Das aber ist keine Effizienzverbesserung, denn Effizienz ist nicht Kostenminimierung sondern Qualitätsoptimierung.

Was schließlich die Kosten angeht, so wäre es doch sicher bedenkenswert, wenn die Einsparungen höher wären oder die erzielten Einsparungen gleichzeitig eine bessere Ergebnisqualität für Bürger und Wirtschaft hätten oder - natürlich am besten – beides. Wie soll das aber gehen?

Der Vorschlag

Der Vorschlag zur Bürgernähe ist schon angedeutet: Behördenübergreifende Front-Offices in den Kommunen. Wird dies aber konsequent realisert, dann ist die Größe der Landkreise kein Problem der Bürgernähe mehr. Auf dieser Basis bietet sich ein anderes, weiter gehendes Reformmodell an:

Die Kreise werden so weit vergrößert, daß sie alle für alle Verwaltungszweige eine fachlich fundierte und schlagkräftige eigene Einheit bereitstellen. Die alten Oberämter oder die Departements in Frankreich waren so groß geschnitten, daß man alle Orte in einem Tagesritt erreichen konnte. Dieses vernüftige Ziel sollte auf heutige Verhältnisse trotz Verkehrsstaus auch bei größeren Gebiets-Einheiten übertragbar sein.

Wer oder was spricht eigentlich dagegen – außer den betroffenen Landräten – in Baden-Württemberg Regionalkreise einzurichten, die den Gebieten der heutigen 8 Regionalverbände entsprechen? Bei dieser Größe wäre es dann auch konsequent, die Regierungspräsidien abzuschaffen und ihre Funktionen in die Regionalkreise zu verlagern. Soweit die Aufgaben aus dem RP-Bereich unvermeidbar in der Zuständigkeit des Landes liegen müssen, kann dies durch entsprechende dienst- und direktionsrechtliche Ansätze sichergestellt werden – die Zahl der Personen wäre dann auch so groß, daß dieser konzeptionelle Aufwand lohnt. Für die orginären Kreisaufgaben können bei dieser Größe effiziente Back-Office-Einheiten gebildet werden, die entsprechend dem Konzept die Front-Offices in den Kommunen unterstützen. Auch bei administrativen Kreisaufgaben wie die Verwaltung der Krankenhäuser sind größere Einheiten mit einer ausreichenden Zahl von Spezialisten sicher kein Schaden. Das wäre wirklich Vereinfachung und Ersparnis! Nebenbei würde das Front-/Back-Office-Konzept gut zu der lobenswerten e-Government-Initiative der Landesregierung passen.

Die Fachaufsicht über 8 Einheiten kann genau so gut vom Ministerium ausgeübt werden wie über die 4 Regierungspräsidien. Um operative Arbeiten in den Ministerien auszuschließen – das würde diese nur ineffizient machen - können in Bereichen, die dies erfordern, bestehende - oder notfalls in ein, zwei Fällen neu zu bildende - Landesämter, Landesbetriebe oder Landesdirektionen die Koordination des operativen Geschäfts übernehmen.

Schlußbemerkung

Auch gegen dieses Konzept gibt es mit Sicherheit Einwände, vor allem von den Betroffenen. Ich mache mir auch keine Illusionen, daß der Widerspruch der einflußreichen Ländräte und Regierungspräsidenten in der politischen Diskussion schwerer wiegt als derjenige weisungsabhängiger Ministerialen und Amtsleiter. Bei diesen wird das immer vorhandene Eigeninteresse des Betroffenen ja oft pauschal benutzt, um ihre Argumente abzutun. Wenn man dies dort tut, sollte man aber die Ländräte und Regierungspräsidenten auch mit dieser Elle messen.

Für die vielen Fragen und Probleme, die ich gewälzt habe, bevor ich mir die Veröffentlichung dieses Kommentars angetan habe, gibt es in der Praxis oder der praxisnahen Forschung und Entwicklung Lösungen, die vermeintliche Schwachstellen des Vorschlages eliminieren ohne seine Vorteile in Frage zu stellen. Für die dargestellten Schwachstellen des derzeitgen Reformkonzeptes sehe ich dagegen solche Lösungen nicht. Diese Diskussion im Detail würde den Rahmen des Exposés sprengen. In einem geeigneten Rahmen läßt sich der Nachweis der Vorteile führen.

Es wäre eine Jahrhundertchance, jetzt diesen oder einen vergleichbar vereinfachenden und straffenden Ansatz zu verwirklichen. Was immer jetzt reformiert wird, bleibt wahrscheinlich für Jahrzehnte bestehen. Das Land wird nicht die innere Kraft haben, innerhalb kurzer Frist eine mit großem Aufwand durchgesetzte Reform - gleichgültig welche und mit welchen Nachteilen - zurück zu drehen oder tiefgreifend zu re-reformieren. Deshalb wäre es jetzt angezeigt, eine Reform anzugreifen, die die Möglichkeiten und Erkenntnisse eines Jahrzehnts e-Government und Reformdiskussion in ein zukunftsweisendes Konzept umsetzt. Sonst kann ich nur sagen: Schade, Baden-Württemberg!


Autor: Prof. Peter Schilling
Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen - FH Ludwigsburg
Lehrgebiete: Informationsmanagement der öV, Verwaltungsinformatik
Kontakt: prof.schilling@moderne-verwaltung.de